Interview mit dem Kurator der Ausstellung, Hans Joachim Kessler von Bernd Buchner

Georg Paladin
Georg Spalatin (linke Bildseite, mit schwarzem Hut) im Kreis der Reformatoren. Das Gemälde in der Wittenberger Lutherhalle ist eine Kopie nach dem Meienburgischen Epitaph von Lucas Cranach dem Jüngeren. (Bild: epd-bild)

Leben und Wirken von Georg Spalatin (1484-1546) veranschaulicht die Ausstellung "Georg Spalatin - Steuermann der Reformation", die vom 18. Mai an im Altenburger Schloss sowie in der Stadtkirche Sankt Bartholomäi gezeigt wird. Der Theologe, Historiker und Humanist war nicht nur ein enger Berater des sächsischen Kurfürsten Friedrich III., sondern auch Freund und Wegbegleiter Martin Luthers. Ein Gespräch mit dem Kurator der Schau, Hans Joachim Kessler.

Herr Kessler, die Altenburger Schau trägt den Titel "Steuermann der Reformation". Ist die wichtige Rolle, die Spalatin in seiner Zeit gespielt hatte, bisher nicht genügend gesehen worden?

Kessler: Mit Sicherheit ja. Man könnte den Ausstellungstitel noch etwas präzisieren: Spalatin ist der Navigator der Reformation, denn er beeinflusst ganz entscheidend die frühe Phase ab 1518 bis etwa 1525 und natürlich darüber hinaus. Er selbst hat einmal gegenüber Johannes Agricola gesagt: Ohne mich wäre es mit Martin Luther nie so weit gekommen. Das ist in der Tat so. Das Bild Spalatins war in den vergangenen 500 Jahren sehr unterschiedlichen Richtungen unterworfen – immer aber steht er im Schatten der anderen Reformatoren. "Schatten" ist dabei gar nicht negativ zu verstehen. Andere wurden und werden deutlich mehr in der Öffentlichkeit wahrgenommen als er.

Georg Spalatin stammt ja aus einfachen Verhältnissen aus dem Bistum Eichstätt. Wie gelang es ihm, in eine so wichtige Rolle als Hofkaplan und Beichtvater von Friedrich dem Weisen aufzusteigen?

Kessler: Er war ein genialer Kopf und großer Geist, der sehr großes Wissen hatte. Zudem besaß er einflussreiche Freunde – sie halfen ihm bei seinem beachtlichen Weg vom Geburtsort Spalt in Franken über Nürnberg und Erfurt bis nach Wittenberg, wo er am Hof des sächsischen Kurfürsten eine ausgezeichnete Stelle bekleidete, die ihm mit Recht einen Platz in der Ruhmesallee der Reformation einräumt.

Der Kurfürst förderte Martin Luther, obwohl er ihm wohl nie persönlich begegnet ist. Welche Rolle spielte Spalatin als Vermittler zwischen den beiden?

Kessler: Friedrich der Weise hat Luther 1521 auf dem Reichstag in Worms gesehen, doch ansonsten vermied er es tunlich, auch nur in seine Nähe zu gelangen. Es gibt eine Reihe von Beispielen, an denen man das deutlich nachvollziehen kann.

Small, iron chest
Small, iron chest (Photo: PR)

Als einer der mächtigsten Fürsten im Reich wollte er aus Gründen der Staatsraison seine Position auf keinen Fall gefährden oder gar als Ketzer gebrandtmarkt werden. Friedrich war ein äußerst klug taktierender Landesvater.

Auf der anderen Seite führte seine gedankliche Nähe, seine dann erst zum Lebensende erkennbare Identifikation mit dem lutherischen Glauben dazu, dass Spalatin diese wichtige Stellung zwischen Friedrich III. und Luther einnimmt. Spalatin war seit 1516 Luthers Freund. Über ihn liefen alle Briefe oder äußeren Anliegen, die Luther mittels des Kurfürsten bewegen wollte. Dabei wurde der sehr impulsive Reformator oft durch das diplomatische Feingefühl Georg Spalatins vor gröberen Fehlern bewahrt.

Im Wirken Friedrichs des Weisen erkennen wir also einen Primat der Politik gegenüber der Konfession. Trifft das auch auf Spalatin selbst zu?

Kessler: Je länger er im Dienst des Kurfürsten steht, auf jeden Fall. Im Zug des Aufbaus der Landeskirche in Sachsen vertritt Spalatin die Auffassung, dass die weltliche Obrigkeit maßgeblich auf die kirchlichen Dinge Einfluss zu nehmen hat. Luther bezieht dazu jedoch eine etwas andere Position, und dies führt teilweise zu Spannungen zwischen den Freunden. Diese werden allerdings überwunden.

Das 16. Jahrhundert war nicht nur das Zeitalter der Reformation, sondern auch der Renaissance und des Humanismus. Spalatin spielt auch als Humanist eine wichtige Rolle. Unter anderem schrieb er eine Biografie von Hermann dem Cherusker. Steht er am Anfang eines deutschen Nationalbewusstseins, wie es dann im 19. Jahrhundert forciert wurde?

Kessler: In gewisser Weise ja. Georg Spalatin hat neben seinen Verdiensten als Reformator und Theologe auch ein unbestreitbares Verdienst um die Geschichtsschreibung, mit der er sich ausführlich und intensiv beschäftigt hat. Er bekam von Friedrich III. den Auftrag, eine Art Dynastiegeschichte der Wettiner zu schreiben, die deren Wurzeln möglichst weit zurückverfolgen sollte – am besten bis Alexander dem Großen. Diese vierbändige, handschriftlich verfasste Chronik, ein wichtiger Teil der Ausstellung, ist mit 1.800 Zeichnungen aus der Cranach-Werkstatt versehen.

Indem der die Herkunft der Wettiner beleuchten will, verlässt Spalatin in der Chronik etwas den Boden der Realität, aber je näher die Darstellungen an die damalige Gegenwart herankommen, desto mehr ist er Zeitgenosse, Zeitzeuge und gewissenhafter Chronist. Das trifft auf alle seine historischen Arbeiten zu. Er bringt im Sinne des Humanismus und vielleicht auch im Sinne der Reichsgeschichte ein nicht unbedeutendes Werk auf den Weg.

Schloss Altenburg
Schloss Altenburg (Photo: epd-bild)

Die Chronik dürfte zu den Höhepunkten der Schau zählen, die ja an einem geschichtsmächtigen Ort stattfindet, nämlich im Altenburger Schloss. Was erwartet die Besucher genau?

Kessler: Wir haben acht Räume auf einer Fläche von weit über 400 Quadratmetern vorbereitet – das ist für Altenburger Verhältnisse sehr viel. Das Schloss selbst war Wirkungsort Georg Spalatins, allerdings in einem anderen baulichen Zustand als heute. Doch wir sind an einem historischen Ort. Die erwähnte Chronik der Sachsen und Thüringer wird erstmals an ihren Ursprungsort zurückgeführt. Aus konservatorischen Gründen werden die vier Bände alternierend gezeigt, also immer nur ein Band.

Besonders freue ich mich auch, dass wir eine idealtypische Rekonstruktion von Spalatins Haus zeigen können, das er 1541 in Altenburg erwirbt. Das ist ein Experiment, das sich nach historischen Vorbildern ausrichtet. Es existiert ein Inventar des gesamten Hausstandes, niedergeschrieben unmittelbar nach seinem Tode. Dadurch wissen wir genau, wie viele Stockwerke und Räume es gab, was in den einzelnen Zimmern war, bis zu den Kleidertruhen und den Sachen, die Spalatins Frau Katharina und seine Töchter besaßen. Der Einblick in ein Reformatorenhaus des Jahres 1545 ist schon etwas sehr Besonderes. Wir werden das als 3D-Animation auf einem Bildschirm anschaulich aufbereiten. In der Rolle der Hausherrin Katharina Spalatin wird eine Sprecherin die Besucher durch das Haus führen.

Gibt es besondere Angebote für Kinder?

Kessler: Es gibt eine zeitlich begrenzte Ausstellung zum Thema "Mensch Martin", die wir als Wanderausstellung übernehmen und in der Ferienzeit zeigen. Damit wollen wir die Personen und Ereignisse der Reformation auch kindgemäß vermitteln.

Spalatin kam ja 1525 nach Altenburg, das etwas abseits der klassischen Reformationsstätten liegt. Bis zu seinem Tode blieb er dort. Ist ihm die Stadt eine zweite Heimat geworden?

Kessler: Das kann man mit Fug und Recht sagen. Dabei muss man noch folgendes berücksichtigen: Das Kurfürstentum Sachsen ist um 1525 ein ganz anderer Flächenstaat, als er sich heute darstellt. Altenburg liegt in diesen wettinisch-ernestinischen Gefilden relativ zentral. Das hatte seine Vorzüge. Auch die Vorgeschichte Altenburgs ist recht bemerkenswert.

Georg Spalatin kommt ja bereits 1511 erstmals hierher, ins Kollegiatstift Sankt Georg auf dem Schloss in Altenburg, und erhält eine Pfründnerstelle, die ihm den Lebensunterhalt im Dienst des sächsischen Kurfürsten bietet. Wie oft er vor 1525 in Altenbug war, lässt sich nicht genau feststellen. Wenn der Kurfürst in der Stadt war, war Spalatin auf jeden Fall in seiner Nähe.

Mit wie vielen Besuchern rechnen Sie und was sollten sie von der Ausstellung mitnehmen?

Kessler: Wir würden uns über 30.000 freuen, über 50.000 noch mehr. Die Besucher sollen das Bild einer sehr aufregenden, spannenden Zeit mitnehmen. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gab es neben der Reformation eine Vielzahl wichtiger Ereignisse. Vor allen Dingen aber soll in Erinnerung bleiben: der Mensch Georg Spalatin, der faszinierend ist.