Die Reformation war auch für Frauen eine Bildungsbewegung von Ute Gause

Titelblatt der Regensburger Hebammenordnung von 1555
(Foto: ev-theol.rub.de (gemeinfrei))

Bis ins 20. Jahrhundert hinein war sich die kirchengeschichtliche Forschung sicher: Auch für die Frauen war die Reformation ein Gewinn. Sie hat dem religiösen Leitbild der weltabgewandten Nonne eine Absage erteilt und die Frauen zu ihrer eigentlichen Bestimmung – als Ehefrau und Mutter – gebracht. Die feministische Theologie hielt dagegen und legte den Finger auf die neuen Abhängigkeiten, in die Frauen mit diesen Rollenzuschreibungen gerieten. Die Kirchengeschichtsprofessorin Ute Gause aus Bochum findet: Beide Sichtweisen greifen zu kurz. Die Reformation war sehr wohl eine Bildungsbewegung für Frauen, sie motivierte sie dazu, theologisch tätig zu werden. Und sie hat genuin weibliche Lebensbereiche aufgewertet.

Das Vorbild war Katharina von Bora: So wie sie, die Ehefrau Luthers, haben sich viele Generationen die ideale protestantische (Pfarr-)Frau vorgestellt und ausgemalt. Besonders wirkmächtig war in diesem Ansinnen der Leipziger Historiker Ernst Kroker. Seine Biografie von Katharina von Bora erschien 1906 zum ersten Mal und fand reißenden Absatz, sodass sie bis 1983 immer wieder neu aufgelegt wurde: 

   „Bibelfest und fromm war Käthe, aber zur Theologie hatte sie keine Anlage. Ihr Gatte brachte sie mehr   als einmal durch neckische Paradoxien in Aufregung oder Verlegenheit [...] In seiner Theologie wurde Luther also gewiß nicht von seiner Käthe beeinflußt, und es war nur ein Scherz, wenn er sie seine „tiefgelehrte“ Frau nannte [...] aber worin bestand nun eigentlich ihr Einfluß, und auf welchen Gebieten machte er sich geltend? Von Anfang an hatte Luther seiner Käthe den ganzen Haushalt zugewiesen. In diesem Reiche herrschte sie fast uneingeschränkt. [...] Das Verhältnis der beiden Gatten im Schwarzen Kloster war so beschaffen, daß es für jedes christliche Haus vorbildlich ist. Wohl durfte die Frau sich in ihrem Reich als Herrin fühlen, aber doch nur insoweit, als der Mann, dem ihre Arbeit und Sorge und Pflege galten, in dem Mittelpunkt des Ganzen stand.“

(Ernst Kroker, Katharina von Bora, Berlin 11. Aufl. 1970, 273ff.)

Die Unterlegenheit der Frau in geistlichen und intellektuellen Belangen wird hier gleichsam festgeschrieben. Ihre organisatorische Begabung zur Haushaltsführung erfährt wohlwollende Würdigung, zumal die Geschlechterordnung der Frau hier ihren Ort zuweist. Die mangelnden Möglichkeiten Katharina Luthers, theologische Bildung zu erwerben, sind hingegen kein Thema. So schreibt man Rollenbilder, nicht einmal besonders subtil, fort. An der Wortwahl Krokers wird seine Gewichtung deutlich: Die wirkliche Qualifikation ist die des Mannes.

Die scharfe Gegenposition dazu vertritt die feministische Forschung. Sie entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und nimmt bewusst weibliche Erfahrungszusammenhänge zum Ausgangspunkt des Theologietreibens. In den (Neu-)bestimmungen der Rolle der Frau im Zuge der Reformation konnte sie allerhöchstens eine Domestizierung erkennen. Die Klosterexistenz hatte den Frauen immerhin noch Bildung und Eigenständigkeit eröffnet – einen Weg, den die reformatorischen Kirchen abschnitten. Doch beide Sichtweisen zeichnen ein eingeschränktes Bild. Das soll im Folgenden für drei Bereiche aufgezeigt werden.

Frauen treiben Theologie und melden sich zu Wort

1545 schrieb die Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg ihrem Sohn Erich, um ihm unter dem Titel „Unterrichtung und Ordnung“ unter anderem eine religiöse Lebensführung einzuschärfen. Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg reiht sich in die große Zahl religiös publizierender Frauen des 16. Jahrhunderts. Sie fühlten sich ermutigt durch Luthers These vom Priestertum aller Getauften, die das Individuum ins Recht setzte, selbst in der Bibel die befreiende Botschaft des Glaubens zu entdecken – ohne den Umweg über die Autorität der Kirche und der Geistlichen.

Frauen verfassten Kirchenlieder; sie schrieben Katechismen und Erbauungsbücher oder auch gelehrte dogmatische Abhandlungen. Zahlreiche Frauen haben theologisch gearbeitet. Eine prominente Vertreterin ist Argula von Grumbach, die sich für die Verteidigung der Reformation in Bayern einsetzte. Auch als Erzieherinnen in religiösen Belangen hatten Frauen eine gewichtige Rolle inne und verfassten die dafür nötigen Lehrbücher selbst – wie etwa die Schulmeisterin Magdalene Heymair aus Augsburg.

Türöffner für die Mädchenbildung

Mit der Reformation begann eine Bildungsbewegung, die auch die Mädchen erfasste. Da der selbstständige Umgang mit der Bibel und die Forderung nach einem Priestertum aller Getauften die Frauen einschloss, fühlten sich die Reformatoren verpflichtet, in ihren Kirchenordnungen auch die Mädchenbildung zu verankern. Es entstanden sogenannte Jungfrauenschulen, in denen den Mädchen vor allem religiöse Bildung vermittelt wurde. Meistens wurden sie von Frauen unterrichtet. Die Schulordnungen fanden zum großen Teil Aufnahme in die evangelischen Kirchenordnungen, obwohl sie eigentlich in die Verantwortung der weltlichen Obrigkeit fielen. Dies zeigt, dass der Unterricht der Mädchen als wichtig angesehen wurde. Als Hausfrauen und Mütter kam ihnen eine Multiplikatorenfunktion zu: Von ihnen hing es ab, wie gut die heranwachsenden Bürgerinnen und Bürger das religiöse Bildungsgut verinnerlichten.

Illustration (Holzschnitt) aus "Der schwangeren Frauen und Hebammen Rosegarten"
(Foto: Wikimedia Commons)

Die höhere Bildung blieb indes nach wie vor den Jungen vorbehalten. Eine Ausnahme bildeten einzelne wohlhabende Familien und ambitionierte Pfarrhaushalte, wo Hauslehrer gleichermaßen Jungen und Mädchen unterrichteten. Auch in den Fürstenhäusern erhielten offenbar viele Frauen eine ausgezeichnete Ausbildung, was sich am hohen Anteil an Gelegenheitsschrifttum – häufig religiösen Inhalts – von Frauen ablesen lässt. Elisabeth Braunschweig-Lüneburg steht zudem exemplarisch für die zahlreichen Landesherrinnen, die vom lutherischen Glauben überzeugt, für die Einführung der Reformation in ihrem Land eintraten.

Neue Wertschätzung weiblicher Lebenssituationen

Mit der Reformation ging eine Entsakralisierung des Lebens einher. Dies hatte eine Zuwendung der Kirche zu den alltäglichen Lebensvollzügen zur Folge – und damit auch zu den „normalen“ Lebenssituationen verheirateter Frauen. Abzulesen ist das an Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, die sich mit der Seelsorge an schwangeren und gebärenden Frauen befassen. Nachdrücklich wird dort eine seelsorgerische Ausbildung der Hebammen gefordert, die die Frauen von der Schwangerschaft bis nach der Geburt eben nicht nur medizinisch, sondern auch seelsorgerisch betreuen sollten. Zugleich wird Praktiken religiösen Aberglaubens eine Absage erteilt.

Vorstellungen wie die, dass die Frau unter der Geburt kultisch unrein sei oder dass ungetauft verstorbene Kinder in den limbus infantium, eine Art Vorhof der Hölle kämen, wurden im Zuge der Reformation umgehend abgeschafft bzw. abgelehnt. Alle gläubigen Christen und Christinnen können durch ihr Gebet das Kind vollmächtig Gott anvertrauen. Die Eltern dürfen also getrost sein, dass es auch ohne Taufe von Gott angenommen wird. Zahlreiche Trostschriften befassen sich mit dem Kummer der Eltern über ihre verstorbenen Kinder. 

Hier zeigt sich, dass die Kirchenordnungen des 16. Jahrhundert weniger die „Zucht“ der Gemeinde im Blick hatten, als dass sie sich als am Wort Gottes orientierte Ordnungen verstanden. Auch die entstehende protestantische Hausväterliteratur ging in diese Richtung. Männer werden darin beispielsweise aufgefordert, auf ihre Frauen während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett besondere Rücksicht zu nehmen. Darin lässt sich durchaus auch eine Domestizierung der Männer erkennen.

Von diesen ersten Impulsen der Reformation ist es zwar noch ein weiter Weg bis zur Frauenordination. Aber gerade in der Bestätigung der Kompetenz der Hebammen, die seelsorgerisch tätig waren und auch das Sakrament der Taufe spenden konnten, liegt eine deutliche Anerkennung der geistlichen Kompetenzen von Frauen.


 

 

Ute Gause
(Foto: privat)

Ute Gause lehrt seit 2007 Kirchengeschichte (Reformation und neuere Kirchengeschichte) an der Ruhr-Universität-Bochum. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Frauen- und Genderforschung seit der Reformation und Diakoniegeschichte.

 

Literatur: Ute Gause, Kirchengeschichte und Genderforschung. Eine Einführung in protestantischer Perspektive, Tübingen 2006.