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Wahrzeichen der Reformation am Rhein – Straßburger Münster war rund 150 Jahre lang protestantisch

Es gehört zum Weltkulturerbe und ist das höchste Bauwerk des Mittelalters: das Straßburger Münster, dessen Grundstein vor 1.000 Jahren gelegt wurde. Mehr als 150 Jahre waren Straßburg und seine Hauptkirche ein Zentrum der Protestanten am Oberrhein.

Es ist Weltkulturerbe und das höchste Bauwerk des Mittelalters: Das Strassburger Liebfrauenmünster (Cathedrale Notre-Dame de Strasbourg). (Bild: Winfried Rothermel/epd-bild)

Mit großem Tamtam entriss der französische „Sonnenkönig“ den Protestanten ihre Macht über die Rheinmetropole Straßburg. Es war der 23. Oktober 1681. Zu den Klängen des Lobgesangs „Te Deum“ gab Ludwig XIV. „die Kirche Notre-Dame, bisher Münster genannt“ den Katholiken zurück – eine Demütigung für die Evangelischen. Mit der Annektion der Freien Reichsstadt Straßburg und ihrer Rekatholisierung endete die protestantische Ära: Mehr als 150 Jahre lang war das Straßburger Münster, dessen Grundstein vor 1.000 Jahren gelegt wurde, eine evangelische Kirche gewesen.

Motor der frühen Reformation

Dass der Franzosenkönig höchstselbst die Grenzstadt am Rhein und ihre Hauptkirche wieder für den Katholizismus in Besitz nahm, habe einen hohen Symbolgehalt gehabt, erklärt der Heidelberger Kirchenhistoriker Johannes Ehmann. Dem Kaiser Leopold I. verpasste er im territorialen Machtkampf einen Nadelstich. Und vor allem wollte er die Reformation in seinem streng katholischen Land zurückdrängen: „Straßburg wurde als eine der ersten Städte im Reich protestantisch“, sagt Ehmann.

Zu Zeiten Martin Luthers vor 500 Jahren war die mächtige Reichsstadt ein kulturelles Zentrum und ein Motor der frühen Reformation in Europa. Prediger wie der Messpriester des Liebfrauenmünsters, Matthias Zell, begeisterten die Menschen für die neue Lehre Luthers, wie die elsässische Historikerin Annie Noblesse-Rocher von der Straßburger Universität erzählt. Die Buchdrucker verbreiteten evangelische Abhandlungen und Streitschriften. Theologen, allen voran Martin Bucer (1491-1551), trugen die Reformation in die Stadtbürgerschaft hinein und sorgten für ihre Verbreitung im süddeutschen Raum und weit darüber hinaus.

Die Reformation war kein lokal begrenztes Ereignis. Um die weltweite Dimension früher und heute in den Blick zu rücken, eröffnen Staat und Kirche am 31. Oktober in Straßburg das finale Themenjahr der Lutherdekade, „Reformation und die Eine Welt“. Der Gottesdienst findet allerdings nicht im Münster statt, sondern in der lutherischen Thomaskirche, in der schon Bucer predigte.

Innenansicht des Strassburger Liebfrauenmünsters (Bild: Winfried Rothermel/epd-Bild)

Höchstes Bauwerk des Mittelalters

Im 16. Jahrhundert war der Straßburger Stadtrat dem neuen evangelischen Glauben zugeneigt und drängte die Macht des katholischen Bischofs zurück. Zwischen 1523 und 1525 führte er tiefgreifende Änderungen ein, wie Historikerin Noblesse-Rocher erklärt. 1524 schließlich wies der Magistrat die katholische Bischofskirche den Protestanten zu: Das Münster war evangelisch. 1529 wurde in Straßburg die katholische Messe abgeschafft. Gemälde, Statuen, Reliquien, Kruzifixe und geweihte Kultobjekte wurden aus den Kirchen geholt und teilweise zerstört.

Die gotische Kathedrale aus rotem Vogesen-Sandstein ist das höchste Bauwerk des Mittelalters – und bis heute der sechsthöchste Sakralbau der Welt. Der Nordturm erhebt sich 142 Meter hoch. Zusammen mit dem historischen Stadtzentrum in Straßburg zählt das Münster zum Unesco-Weltkulturerbe. Eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der heutigen katholischen Kirche stammt aus protestantischer Zeit: die imposante Astronomische Uhr im südlichen Seitenschiff von 1567.

In der Stadt Straßburg, der traditionell eine Mittlerrolle zwischen Frankreich und Deutschland zukam, entwickelte sich eine vermittelnde, gemäßigte Form der Reformation. Im Streit der beiden Reformatoren Martin Luther und Ulrich Zwingli über die Bedeutung des Abendmahls gingen die Straßburger Protestanten einen Mittelweg. Gemeinsam mit den Städten Konstanz, Lindau und Memmingen formulierten sie ein eigenes Glaubensbekenntnis, die „Confessio Tetrapolitana“, und erstellten 1534 eine eigene Kirchenordnung.

Mehr als 150 Jahre waren Strassburg und seine Hauptkirche ein Zentrum des Protestantismus am Oberrhein. (Bild: Winfried Rothermel/epd-Bild)

Zwischen katholischer und protestantischer Glaubenslehre 

Auch für verfolgte Protestanten aus ganz Europa war Straßburg ein Zufluchtsort, sagt Kirchenhistoriker Ehmann. Glaubensflüchtlinge aus Frankreich wie der Reformator Johannes Calvin wurden ebenso aufgenommen wie Vertreter radikaler evangelischer Bewegungen wie die der Täufer. 1577 wandten sich die Straßburger Protestanten der lutherischen Glaubenslehre zu. Das führte zum Ende einer eigenständigen reichsstädtischen Theologie.

1548 erhielt der Bischof von Straßburg während einer kurzen katholischen Phase unter anderem das Münster zurück, 1559 fiel die Kirche wieder an die Protestanten. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) ließ Frankreich bis zur Rheingrenze vordringen. In Folge der Rekatholisierung durch Ludwig XIV. wurde das Münster dann wieder in den Dienst des katholischen Glaubens gestellt.

Unter der Regentschaft Napoleons entwickelte sich ab 1802 im Elsass dann eine einheitliche und zentralisierte protestantische Kirchenorganisation: Die evangelische Kirche wurde in das staatskirchenrechtliche Gefüge des französischen Reiches eingegliedert. Vor allem ab dem 19. Jahrhundert vereinnahmten Deutsche und Franzosen im Gerangel um die Macht das Münster als nationales Symbol. Für Goethe und viele national gesinnte Deutsche war es der Inbegriff „gotischer“, also vermeintlich „deutscher“ Bauart.

Nach dem Sieg der Nationalsozialisten über Frankreich 1940 plante Adolf Hitler nach einem Besuch der Kirche, sie zu einem „Nationalheiligtum des deutschen Volkes“ zu machen. Der französische General Jacques-Philippe Leclerc und seine Soldaten schworen 1941, die „Waffen erst dann niederzulegen, wenn unsere schönen Farben wieder auf der Straßburger Kathedrale wehen“.

Das Jahrhunderte dauernde Kräfteziehen zwischen Deutschen und Franzosen, zwischen Katholiken und Protestanten um das Straßburger Münster ist vorüber: Zum Jahresbeginn gab es dort anlässlich der Festlichkeiten zum 1.000-jährigen Bestehen eine ökumenische Feier für die Einheit der Christen.

Informationen

Autor:Alexander Lang Quelle:epd Datum:26-10-15
Schlagworte:
Straßburg, Reformation, Lutherdekade, Themenjahr 2016, Reformation und die Eine Welt,

Themenjahr 2016

Am Vorabend des Reformationsjubiläums werden die globalen Prägekräfte im Mittelpunkt stehen.