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600 Jahre Konstanzer Konzil – Vier Päpste und zwei tote Reformer

Vor 600 Jahren machte ein Konzil Konstanz zur Kulturhauptstadt Europas

(Foto: epd-Bild/akg-images)

Europa ist in keinem guten Zustand zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Gleich drei Päpste zanken um die Vorherrschaft, obwohl es doch nur ein legitimes Kirchenoberhaupt geben kann. Gegen würdelose Zustände in der Kirche begehren in mehreren Regionen Reformbewegungen auf, die von der geistlichen Obrigkeit schnell als „Ketzerei“ gebrandmarkt werden. Dabei wird Reformbedarf durchaus anerkannt, aber eben nicht umgesetzt.

Konzil mit Wein und Gelage

Zeit also, einen europaweiten Kongress zur Lösung der Probleme einzuberufen. Der römisch-deutsche König Sigismund (1368-1437) und die Partei von Papst Johannes XXIII. beschließen, ein Konzil in Konstanz zu veranstalten. Es beginnt am 5. November 1414. Was für ein Auftrieb! Bis zu 10.000 Gäste besetzen das beschauliche 6.000-Einwohner-Städtchen am Bodensee. Aus allen europäischen Regionen kommen geistliche und weltliche Herren, um über die Zukunft zu beratschlagen. Selbst „Mohren“ sollen gesehen worden sein, notiert Ulrich Richental, dessen Konzilschronik zu den wichtigsten Quellen zu diesem Großereignis zählt.

Das Konzil ist keineswegs eine asketische Veranstaltung. Der durchschnittliche Teilnehmer soll sich täglich bis zu acht Liter Wein genehmigt haben, der allerdings deutlich weniger Alkohol enthält als in späteren Jahrhunderten. Für die Gäste der Stadt sind auch bis zu 700 „gemeine Damen“, also Prostituierte, im Einsatz. Der einäugige Dichter und Sänger Oswald von Wolkenstein (um 1377-1445), einer der berühmtesten Konzilsteilnehmer, gibt dem Treffen kulturellen Glanz.

Das Chaos in der Kirchenführung können die Teilnehmer während des dreieinhalbjährigen Konzils beseitigen. Johannes XXIII. wird nach einer geheimnisvollen Flucht aus der Stadt als Papst abgesetzt und taucht in den kirchlichen Annalen als nicht zu zählender „Gegenpapst“ auf, weshalb sich 1958 erneut ein Papst den Namen Johannes XXIII. geben kann. Gregor XII., der als legitimer Papst gilt, tritt freiwillig zurück. Nur Benedikt XIII. klebt an seinem Amt und kann erst nach schwierigsten Verhandlungen abgesetzt werden. Der Weg zu Neuwahlen ist frei.

Ende des abendländischen Schismas

Das Konklave findet im November 1417 im großen Kaufhaus von Konstanz statt. Das Gebäude am Bodenseeufer steht heute noch, heißt „Konzil“ und dient als Veranstaltungsort unter anderem für Konzerte und Hochzeitsfeiern. Damals einigen sich die 53 Papstwähler nach nur drei Tagen auf Oddo di Colonna. Er nennt sich Martin V., weil er am Martinstag (11. November) gewählt wurde. Das Problem: Der neue Papst besitzt noch keine kirchlichen Weihen. Im Schnelldurchgang wird er binnen weniger Tage erst zum Diakon, dann zum Priester und Bischof geweiht. Das große abendländische Schisma, das 1378 begonnen hatte, ist beendet.

Doch über das Konzil hat sich bereits der Schatten von Gewalt und Rechtsbruch gelegt. Um die von den Reformatoren verursachten Unruhen in den Griff zu bekommen, lädt man den Prager Kirchenerneuerer Johannes Hus (um 1370-1415) zum Konzil. Der Stammvater der tschechischen Hussiten hat ein Jahrhundert vor Martin Luther ein Programm, das in eine ähnliche Richtung weist: Rückbesinnung auf die Bibel als alleinige Richtschnur des Glaubens und der Lebensgestaltung, radikale Ethik, Ablehnung einer überbordenden Heiligenverehrung.

Königlicher Wortbruch

Natürlich weiß der Mann aus Prag, dass sein Erscheinen nicht ungefährlich ist. Doch er verlässt sich auf einen Brief von König Sigismund, der ihm freies Geleit zusichert („salvus conductus“). Vor Ort nutzt ihm das nichts mehr. Hus wird verhaftet, erlebt einen sieben Monate lang dauernden Ketzerprozess und wird schließlich am 6. Juli 1415 vor den Toren der Stadt verbrannt. Das gleiche Schicksal ereilt im Folgejahr Hieronymus von Prag. Zwei Jahrzehnte Hussitenkriege sind die Folge, weil sich die Böhmen das nicht gefallen lassen.

Doch es geht nicht ausschließlich um Kirche und Politik in diesen Konzilsjahren. Konstanz wird vorübergehend zur Hauptstadt Deutschlands und zur Kulturhauptstadt Europas. Das Umland bietet eindrucksvolle Klosterbibliotheken, etwa in St. Gallen und auf der Reichenau. Dantes „Göttliche Komödie“ wird in diesen Jahren ins Lateinische übersetzt und beginnt ihren Siegeszug durch Mitteleuropa. Italienische Humanisten finden in einem deutschen Kloster die einzig erhaltene Handschrift der Schrift „De rerum natur“ (Über die Natur der Dinge) von Lukrez. Der Bodensee wird zur kulturellen Drehscheibe.

600 Jahre später feiert Konstanz das größte Ereignis seiner Geschichte. In diesem Jahr hat es im Konzilsgebäude bereits eine Landesausstellung mit historischen Kostbarkeiten gegeben. Kulturfeste, wissenschaftliche Tagungen und Festspiele lassen die Ereignisse des 15. Jahrhunderts wieder lebendig werden. Den Glanz jener Epoche hat die Stadt am Bodensee ebenso verloren wie 1821 den Bischofssitz. Umso wichtiger ist das Gedenken, das so lange dauern soll wie das Konzil selbst, also fast vier Jahre.

Informationen

Autor:Marcus Mockler Quelle:epd Datum:30-10-14
Schlagworte:
Konstanz, Jan Hus, Konstanzer Konzil

Jan-Hus-Gedenken und Konstanzer Konzil