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Ein Fest der Standhaften

Gedanken zum Reformationsjubiläum

André Schmitz
André Schmitz (Bild: © Schwarzkopf-Stiftung )

Mich beeindrucken Menschen, denen es nicht um Strukturen oder Dogmen geht, die für neue Ideen nicht Machbarkeitsstudien in Auftrag geben oder sich in Bedenken wiegen, bevor sie etwas anpacken. Menschen, die tun, was sie meinen, tun zu müssen und sich nicht selbst verleugnen. Einer von denen ist Martin Luther – jener Mönch, der sich vor 500 Jahren aus der Übermacht der damaligen Kirche befreite, heiratete und der Kirche mit der Bibel in der Hand die Leviten las. Jetzt, kurz vor dem Reformationsjubiläum im Jahr 2017, ist er in aller Munde.

Luther war Reformkatholik

Luther Superstar, dieser Eindruck entsteht manchmal. Dabei war dies das letzte, was er wollte. Inständig hoffte er, dass es niemals eine Kirche gebe, die sich nach ihm benennen würde. Er bat ausdrücklich darum, „sich nicht ‚lutherisch‘ sondern ‚Christ‘ [zu] nennen. Was ist Luther? Wie käme denn ich armer, stinkender Madensack dazu, daß man die Kinder Christi mit meinem heillosen Namen benennen sollte?“

Diese Hoffnung hat ihm die Geschichte nicht erfüllt. Der Lutherische Weltbund vereint 144 lutherische Kirchen mit 72 Millionen Christen. Luther wäre wahrscheinlich not amused gewesen, wenn er das noch mitbekommen hätte. So ist es mit bedeutenden Personen der Weltgeschichte: Kaum sind sie gestorben, schmieden einige Anhänger eine neue Institution.

Dabei war er eigentlich Reformkatholik, sagen viele Evangelische wie Katholische heute. Er wollte die Kirche ja nicht spalten, er wollte sie verändern; zurückführen zu ihren Ursprüngen. Die seien allein in der Bibel zu finden – „sola scriptura“, hat Luther behauptet. Die ganze mächtige Institution der Kirche seiner Zeit mit all den theologischen Haarspaltereien, der päpstlichen Machtpolitik, den Orgien und Exzessen im Klerus – das verträgt sich nicht mit der Lehre der Bibel. Heutzutage ist Kirchenkritik en vogue und erntet oft vorschnellen Beifall. Was Luther und seine Mitstreiter damals sagten, war lebensgefährlich. Er blieb trotzdem standhaft. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, soll er vor dem Wormser Reichstag im Jahr 1521 gesagt haben.

Wow. Diese Haltung vermisse ich so oft unter heutigen Entscheidungsträgern im politischen, wirtschaftlichen wie im kirchlichen Bereich. Männer und Frauen, die sich einfach hinstellen und zu ihrer Überzeugung stehen. Die sich nicht kaufen lassen, weder durch Geld noch durch Macht. Was für ein Vorbild Martin Luther in dieser Hinsicht war!

Die Reformation war mehr als nur Luther 

Vorbild aber auch deswegen, weil er so ganz Mensch war. Offensichtlich hatte er schon sehr anstrengende Seiten. Choleriker soll er gewesen sein, seine Stimmungsumschwünge werden seine Mitmenschen bisweilen arg strapaziert haben. Die Diplomatie hat er seinen ruhigeren Mitstreitern überlassen, z. B. seinem Freund Philipp Melanchthon. „Leisetreter“ nannte Luther ihn mal – aber das meinte er nicht abwertend, sondern voller Respekt. Luther war trotz seiner Eigensinnigkeit ein Teamplayer.

Bei allem Respekt Luther gegenüber ist das ein großes Missverständnis: Zu meinen, Luther sei der einzige gewesen, der große Macher, der die Reformation entscheidend angeführt hätte. Das war nicht so, habe ich gelernt. Reformation war eine Bewegung, die sich von mehreren Zentren aus über ganz Europa verbreitete. Getragen von unzähligen mutigen Männern – und Frauen! –, die sich von der evangelischen Lehre faszinieren ließen. Nicht weil sie ein interessantes theologisches Konstrukt, sondern weil sie so lebensnah war. Endlich konnten die Menschen die Bibel in ihrer Sprache lesen und verstehen, waren sie nicht mehr angewiesen auf „Gelehrte“ und Pfaffen, die ihnen oft mit hintersinnigen Motiven und nicht nachprüfbar die lateinische Bibel verdrehten. Endlich wurden die Menschen von der Vorstellung entlastet, sie müssten etwas leisten, um vor Gott bestehen zu können. Aus dem Glauben entstehen die guten Werke eines Christen, lehrte Luther – nicht andersherum: Mit vermeintlich guten Werken kann sich niemand die Zuwendung Gottes erkaufen. Diese freimachende Botschaft haben Arme wie Reiche verstanden, Gebildete wie Ungebildete, die Fürsten wie das Volk.

Reformationsjubiläum sollte keine Leistungsschau werden

Das ist bis heute so. „Leistung muss sich wieder lohnen“ lautet die moderne säkulare Version der damaligen christlichen Verirrung. Menschen zerbrechen unter ihren eigenen Ansprüchen und den Erwartungen anderer. Gnädig mit sich selbst sein, wäre angesagt. Leistungsdenken führt nicht ins Glück, sondern in die Sackgassen des Burnouts oder des Machbarkeitswahns. Eure Leistung muss und wird sich nicht lohnen, würde Luther womöglich heute den Leistungsaposteln entgegnen. Und das Wunderbare: Daraus resultiert keine „Ist-doch-eh-alles-egal“-Mentalität. Wer sich auf sich selbst und auf seine eigenen Werte besinnt, der lebt glücklicher. Und der wird dann auch wieder Leistung bringen, der wird sich engagieren für gute Sachen. Die Leistung bringt kein Glück. Aber wer glücklich ist, leistet etwas, ganz automatisch und ohne Zwang.

Diese christliche – nicht evangelische! – Botschaft kann die Gesellschaft voran bringen. Deshalb sollte sie im Mittelpunkt des Reformationsjubiläums stehen. Genauso wie Martin Luthers beeindruckender Eigensinn. Das Reformationsjubiläum soll keine Leistungsschau der Christenheit werden. Ein fröhliches Fest fände ich angemessener, ein Fest der Standhaften. Denn solche Menschen empfinde ich stets als Segen, egal welchen Glaubens oder welcher Nationalität.


Dieser Text erschien zum ersten Mal in der Kolumne des Deutschen Kulturrates und wurde luther2017.de mit freundlicher Genehmigung des Autors zu Verfügung gestellt. André Schmitz ist Vorsitzender der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa und war Kulturstaatssekretär in Berlin.