Martin Luther und die Juden – Fragen und Antworten von Bernd Buchner

Relief of the “Jewish sow” at the City Church of St. Mary in Wittenberg
(Photo: epd-bild/Norbert Neetz)

(epd): Mit den Juden befasste sich Martin Luther bereits vor der Reformation. Am 5. August 1514 äußerte er sich erstmals brieflich über das Volk der Bibel. Luthers Blick auf die Juden war zwar Wandlungen unterworfen, doch an seiner negativen Grundhaltung änderte sich wenig – bis hin zur Forderung, Synagogen anzuzünden und die „verstockten“ Juden auszuweisen. Was trieb den Reformator an, welche Folgen hatte sein Judenhass? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Welche Vorbehalte hatte Luther gegen die Juden?

Das Judentum ist für Martin Luther die falsche, durch das Christentum überflüssig gewordene Religion. Laut dem Kirchenhistoriker Volker Leppin war dies im 16. Jahrhundert breiter Konsens, ebenso die Vorstellung, die Juden seien schuld am Kreuzestod Jesu. Luther kritisiert Juden wie Papstanhänger als Vertreter der Werkgerechtigkeit. Er argumentiert, dass die Menschen nicht durch ihre guten Werke, sondern allein durch Gottes Gnade erlöst werden können.

Was waren die wichtigsten „Judenschriften“ des Reformators?

In Gesprächen, Briefen und Schriften hat sich Luther wiederholt mit den Juden befasst. In dem Brief vom August 1514 stellt er sich hinter den Humanisten Johannes Reuchlin, der sich gegen die Verbrennung jüdischer Schriften wandte. 1523 veröffentlicht der Reformator die Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“. 1538 folgt das Pamphlet „Wider die Sabbather“, 1543 schließlich die berüchtigte Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“. Noch vier Tage vor seinem Tod 1546 predigt Luther in Eisleben unter dem Titel „Vermahnung wider die Juden“.

Gab es in Luthers Haltung zu den Juden Entwicklungen?

1523 äußert der Reformator noch die Erwartung, dass aus den Juden „viel rechte Christen werden“. Angesichts der Wiederentdeckung der Bibel geht er davon aus, dass auch die Juden nun Jesus als Messias anerkennen müssten. Als sich diese Hoffnung nicht erfüllt, schlägt Luthers Haltung in blanke Ablehnung über. In seinen Spätjahren verfolgt der Reformator die Juden mit „Hass, unflätigsten Beschimpfungen und auch blutrünstigen Vernichtungsphantasien“, so der Luther-Biograf Heinz Schilling.

Was waren seine Kernforderungen?

Luther will die Juden wirtschaftlich entrechten und ihnen die Religionsausübung verbieten. Immer wieder setzt er sich bei der protestantischen Obrigkeit für die Vertreibung von Juden ein. 1543 schreibt er, man solle Synagogen sowie jüdische Häuser und Schulen „mit Feuer anstecken und was nicht verbrennen will, mit Erden beschütten, dass kein Mensch ein Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich“. Doch die berüchtigte „Lügen“-Schrift, die zu weiten Teilen eine Exegese des Alten Testaments ist, endet mit dem Satz: „Christus unser Herr, bekehre sie barmherziglich.“

Hatte Luther persönliche Beziehungen zu Juden?

Kaum. Es gibt keinen Hinweis, dass er je eine Synagoge besucht hätte. Mit Josel von Rosheim, dem Leiter der Judenheit im Reich, verkehrt der Reformator nur brieflich, obwohl er ihn „meinen guten Freund“ nennt. 1537 schreibt er ihm, er sei den Juden wohlgesinnt gewesen, diese aber hätten sein Wohlwollen missbraucht. In Wittenberg erhielt Luther einmal Besuch von Rabbinern. Einer von ihnen soll dabei Jesus beleidigt haben. In den Tischgesprächen kommt Luther immer wieder auf diese Begebenheit zurück.

Wie steht der Reformator allgemein zur Toleranz gegenüber Andersdenkenden?

Toleranz im modernen Sinne ist für Luther und seine Zeitgenossen ein Fremdwort. Die Unfähigkeit, mit Andersdenkenden in einen Dialog zu treten, sei die „dunkle Kehrseite von Luthers prophetischer Selbstsicherheit“, so Heinz Schilling. Der Reformator stößt wüste Beschimpfungen nicht nur gegen Juden aus, sondern in gleichem Maße gegen den Papst oder die Türken. Auch seine Aufrufe gegen Bauern oder „Schwärmer“, radikale Protestanten, sind alles andere als ein Zeichen für Verständnis und Toleranz.

War Luther Antisemit?

Nein. Der Reformator steht in der Tradition des christlichen Antijudaismus, der vom modernen Antisemitismus zu unterscheiden ist. Der Begriff „Antisemitismus“ entsteht im 19. Jahrhundert und ist mit der falschen Vorstellung verbunden, die Juden seien eine „Rasse“. Bei Luther steht stets der Glaube im Mittelpunkt. Auch wenn er davon spricht, das jüdische Blut sei „wässerig und wild“ geworden, sind ihm rassische Kategorien völlig fremd. Allerdings bezeichnet er auch getaufte Juden weiter als Juden, nicht als Christen.

Wie diskutiert die Forschung heute über Luthers Judenhass?

Die judenfeindliche Haltung des Reformators gilt als schwere Hypothek für die reformatorische Bewegung. In der NS-Zeit beriefen sich radikale Antisemiten in Staat und Kirchen bevorzugt auf Luther. Doch ein direkter Zusammenhang zwischen seinem Antijudaismus und dem Holocaust wird heute von den meisten Theologen und Kirchenhistorikern abgelehnt. Gleichwohl betonen sie die Aufgabe, Luthers Erblast aufzuarbeiten und diese „dunkle“ Seite der Reformationsgeschichte nicht auszublenden.


Ausführlichere Informationen zu diesem Thema entnehmen Sie bitte der Orientierungshilfe „Die Reformation und die Juden“ des Wissenschaftlichen Beirates.