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Luther im Spiegel - Die Wirkungsgeschichte des Reformators aus evangelischer und katholischer Sicht

Konferenz „Lutherbilder – Lutherbildprojektionen und ein ökumenischer Luther“ in Weingarten

"Luthers Geburtstag", Farboffsetzinkographie von Uwe Pfeifer
(Foto: Stiftung Luthergedenkstätten)

Das letzte Wort in Württemberg hat – Wittenberg. Martin Treu, Geschäftsführer der Luther-Gesellschaft, zeigte bei einer Tagung in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart einen Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert mit dem Ganzkörperporträt Martin Luthers. Der Kopf ist austauschbar: Je nach Anlass konnten auch die Häupter von Melanchthon oder Jan Hus in das Bildnis eingesetzt werden. „Die Geburt des Starschnitts lange vor der 'Bravo'“, sagte Treu augenzwinkernd.

Der Spiegel hat blinde Flecken

Die Konferenz in Weingarten bei Ravensburg stand unter dem Leitwort „Lutherbilder – Lutherbildprojektionen und ein ökumenischer Luther“. Das deutet bereits an, dass der Spiegel, in dem man heute auf den Wittenberger Theologen blickt, blinde Flecken hat. Und dass die vergangenen und bald bevorstehenden Reformationsfeiern stets eher die eigene Zeit spiegeln als das 16. Jahrhundert. Große konfessionelle Polemiken gibt es heute aber nicht mehr – auch wenn jüngst herzhaft über das evangelische Papier „Rechtfertigung und Freiheit“ gestritten wird.

Das war früher ganz anders. Wenig verwunderlich, dass das Lutherbild lange zwischen Verehrung und Verketzerung schwankte. Der Jesuit Roberto Bellarmin (1542-1621) ließ kein gutes Haar am Reformator, wie in Weingarten Peter Walter darlegte. Die orthodoxen Lutheraner hingegen, so Friederike Nüssel, sahen Luther als heilsgeschichtliche Figur, von Gott im Kampf gegen den Antichrist gesandt.

Radierung des Entwurfes für das Lutherdenkmal in Worms
Radierung des Entwurfes für das Lutherdenkmal in Worms (Foto: Stiftung Luthergedenkstätten)

„Enttäuschend wenig Lutherspuren“ in den Predigten

Weniger erwartbar war, dass etwa in evangelischen Predigten um die Wende zum 17. Jahrhundert „enttäuschend wenig Lutherspuren“ zu finden sind, wie Sabine Holtz feststellen musste. Umgekehrt stellte Andreas Holzem mit Blick auf katholische Predigten aus der gleichen Zeit fest, dass die wenigsten von ihnen Luther und den Protestantismus aufs Korn nahmen.

Die Konferenz hielt auch frappierende Erkenntnisse bereit. Martin H. Jung schilderte, wie sich Pietisten im 17. Jahrhundert von Luthers Rechtfertigungslehre entfernten – unter Berufung auf den Reformator selbst, der 1522 notierte: „Wer aber nicht solche Werke tut, der ist ein glaubloser Mensch.“ Als Mythos entlarvte die Kunsthistorikerin Anja-Ottilie Ilg das Bild einer "Herzensfreundschaft" zwischen Luther und dem Maler Lucas Cranach dem Älteren. Ilg zeigte zudem ein Bildnis von Papst Paul III., wie er auf ein Lutherporträt starrt – der Reformator ist darauf mit erhobenem Zeigefinger zu sehen. Segen oder Ermahnung?

„Lutherrenaissance“ nach dem Ersten Weltkrieg

In der Zeit der Aufklärung wurde der Konfessionsstifter zum nationalen Mythos. Herder und Lessing stilisierten Luther zum Helden der deutschen Geistesgeschichte, wie Albrecht Beutel darlegte. Es folgte die Politisierung im 19. Jahrhundert, zumal im protestantisch geprägten Kaiserreich. Die „Altgläubigen“ hielten dagegen: 1903 erschien die polemische Lutherbiografie von Heinrich Denifle – seither hat sich die katholische Reformationsforschung nach den Worten von Claus Arnold versachlicht. Auf der Gegenseite leitete Karl Holl nach dem Ersten Weltkrieg eine „Lutherrenaissance“ ein, die den Reformator wieder theologisch in den Blick nahm, wie Volker Leppin darlegte.

Nicht fehlen durfte bei der Konferenz auch ein Blick auf das Lutherbild in den deutschen Diktaturen, allerdings unter Auslassung ökumenischer Aspekte. Jürgen Kampmann schilderte, wie die „Deutschen Christen“ in der NS-Zeit den Reformator nur als Worthülse benutzten.

Norbert Haag unterstützte den Befund durch einen Blick auf Württemberg. Auch die DDR, so Michael Beyer, nahm sich von Luther das, was sie brauchen konnte. Sie stellte ihm Thomas Müntzer zur Seite – noch im September 1989 wurde bei Bad Frankenhausen das große Bauernkriegspanorama von Werner Tübke eröffnet.

Die Grabungen nach dem „wahren“ Luther dauern an

Geschichtspolitik im großen Stil lässt sich ferner an den zahlreichen Lutherfilmen ablesen, die Esther Wipfler in den Blick nahm. Den US-Streifen von 2003 mit Joseph Fiennes bezeichnete sie zu Recht als „Hagiographie“. Die Kritik sei eher „gnädig“ mit dem Film umgegangen – eine schöne Sottise. Zu Beginn des Weingartener Treffens hatte es Andreas Holzem als vermessen bezeichnet, einen „wahren“ Luther freilegen zu wollen. Immerhin, die Grabungen werden weitergeführt. Mit Blick auf 2017 wird sich die Debatte um den Reformator und sein Werk sicher noch intensivieren.

 

 

Informationen

Autor:Bernd Buchner Quelle:epd Datum:22-09-14
Schlagworte:
Forschung, Ökumene, Tagung, Kirchengeschichte, Katholische Kirche