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Buchdruck wie anno 1500

Im Schweizer Pavillon auf der Wittenberger Weltausstellung Reformation können Besucher Bibelseiten des Zürcher Neuen Testaments drucken. (Bild: epd-bild/Christina Özlem Geisler)

Die Buchpresse revolutionierte vor 500 Jahren die Medien – und Martin Luther mit ihrer Hilfe die Kirche. Aber er war nicht der Einzige. Bei der Wittenberger Weltausstellung zeigt der Schweizer Kirchenbund eine andere Seite der Reformationsgeschichte.

Am 20. Mai, wenige Stunden nach dem Startschuss zur Weltausstellung, eröffnen die Schweizer „Prophezey“. In dem weißen Holzpavillon mit den waldgrünen Planen im Wittenberger Stadtpark möchten sie Reformation und Gegenreformation darstellen, die Freundschaft feiern zwischen Lutheranern und Reformierten. Dass sich die Beiden heute so nah sind, sei angesichts der verschiedenen theologischen Auffassungen der Reformatoren Martin Luther und Ulrich Zwingli nicht selbstverständlich, sagen die anwesenden Vertreter der schweizerischen Kirchen. Aber sie haben eine gemeinsame Glaubensgrundlage: die Bibel. Sie wird von diesem Tag an bis zum Ende der Freiluftausstellung am 10. September in der idyllisch grünen Umgebung für Knarzen sorgen.

„Dass die Besucher bei uns etwas aktiv erleben können, scheint sich mittlerweile herumgesprochen zu haben, denn in letzter Zeit kommen sie vermehrt“, sagt Manuel Erhardt. Er ist Historiker und seit der Eröffnung vor zwei Monaten Verantwortlicher des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes für den Pavillon. Wer eintritt, kann sich zunächst über die Schweizer Reformation und ihre Protagonisten Ulrich Zwingli oder Johannes Calvin informieren. Im Raum dahinter liegt das „Schmuckstück“, wie Erhardt es nennt.

Zürcher Bibel schon 1531 fertig

Die Bibeldruckpresse ist aus Holz. In einen Rahmen wird weißes Papier geklemmt und auf mit Farbe bestrichene Reliefplatten geklappt. Bewegt man dann den langen Hebel in einem Radius von fast 180 Grad parallel zum Boden, drückt ein weiteres Stück Holz die Schichten gegeneinander. „Für viele Menschen aus dem Luther-fokussierten Deutschland ist es spannend zu sehen, dass unsere Zürcher Bibel von 1531 schon drei Jahre vor Luthers Bibel fertig war“, sagt Erhardt: „Allerdings in Zürcher Dialekt.“

Drucke, die Besucher hier selbst anfertigen, dürfen sie sich als Erinnerung mit nach Hause nehmen. Ein Abiturient aus Wittenberg ist schon zum dritten Mal gekommen: „Ich glaube, dass Reformation, die sich nur auf Luther bezieht, uneinsichtig ist“, sagt der junge Mann und hilft, die Bibelpresse für den nächsten Durchgang flott zu machen. Für 204 Seiten des Zürcher Neuen Testaments liegen Nyloprint-Platten bereit. Eine Platte hat 5.000 Zeichen, an diesem Tag sind aber auch Illustrationen von Hans Holbein dem Jüngeren dran, die ganze Seiten ohne Text füllen.

Auf einer Druckplatte finden 5000 Zeichen Platz. (Bild: epd-bild/Christina Özlem Geisler)

„Das ist die Mechanik der Reformation!“, ruft Gabriel de Montmollin und hängt sich mit seinem ganzen Gewicht an den horizontal beweglichen Hebel der Bibelpresse. Er ist ihr Kurator und Direktor des Internationalen Reformationsmuseums in Genf. An seinen Händen klebt Druckerschwärze: „Wir wollen die Spannung zeigen zwischen einer großen Idee und der Technologie, die diese Idee verbreitet hat.“ De Montmollin ist fasziniert von Luther, der verstanden habe, dass Dank der Presse die Bücher zu den Leuten kommen und nicht mehr nur andersherum wie zuvor: „Bis 1555 konnten bereits eine Million Exemplare gedruckt werden. Das hat die Bibel ins Lebenszentrum der Mehrheit gestellt“, sagt der Kurator.

Buchpresse eigens für die Weltausstellung gebaut

Das „Schmuckstück“ wurde eigens für die Wittenberger Weltausstellung gebaut. De Montmollin und sein Team orientierten sich dabei an einem Modell aus dem Gutenberg-Museum in Mainz sowie an Skizzen der französischsprachigen Wissenschafts-Enzyklopädie von Diderot und d'Alembert aus dem 18. Jahrhundert. Aber sie verwendeten auch Informationen aus dem Internet. Der Zwilling der händischen Druckmaschine steht im Genfer Reformationsmuseum. Mit jedem Knarzen dort entsteht noch bis zum Reformationstag am 31. Oktober eine Ausgabe der Calvin-Bibel.

Das Drucken an der Presse, sagt de Montmollin, sei ein Vergnügen, das viele Passanten zum spontanen Ausprobieren anregt. Es ermögliche aber auch Gespräche über Technik und Reformation. „Und der Lärm ist so, so schön! Wie ein Boot im Gewitter!“, übertönt de Montmollin das Knattern des Holzes.

Am Ende des Reformationssommers in Wittenberg wird es ein Exemplar des Zürcher Neuen Testaments von 2007 mit 20 Illustrationen von Holbein auf handgeschöpftem Papier geben. Der 9. September ist für die Übergabe der Bibel an das Wittenberger Lutherhaus vorgesehen. Was dann mit der Maschine geschieht, ist noch nicht klar. Wohl aber, dass nach 2017 auch jeder Kanton der Schweiz sein eigenes 500. Jubiläum feiert - einer nach dem anderen, so wie sich die Kantone auch nacheinander zur Reformation bekannt haben.

Informationen

Autor:Christina Özlem Geisler Quelle:epd Datum:21-07-17
Schlagworte:
Buchdruck, Zürcher Neues Testament, Wittenberg, Weltausstellung Reformation

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