Interview mit dem Thüringer Altbischof Werner Leich, der mehrfach mit Honecker zusammentraf

Wiedereröffnung der Wartburg 1983
(Foto: epd-bild)

Die DDR-Führung wollte mit dem Lutherjahr 1983 nach Ansicht des Thüringer Altbischofs Werner Leich „auf keinen Fall die Kirchen stärken". SED- und Staatschef Erich Honecker habe den 500. Geburtstag des Reformators „mit einer Träne im Knopfloch groß aufziehen" lassen, um damit sein eigenes Ansehen international aufzuwerten, sagte Leich dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Eisenach. Der heute 87-jährige Theologe war als Bischof und Vorsitzender des Lutherkomitees der Evangelischen Kirchen in der DDR mehrfach mit Honecker zusammengetroffen.

epd: Der Kirchenhistoriker Peter Maser hat vor kurzem berichtet, das Lutherjahr 1983 in der DDR habe im Hause von SED-Chef Erich Honecker wegen dessen Lutherspielereien" zu Ärger mit Frau Margot geführt. Haben Sie als Vorsitzender des kirchlichen Lutherkomitees damals etwas von solchen Unstimmigkeiten gespürt? 

Werner Leich: Nein. Bei der Wiedereröffnung der umfassend sanierten Wartburg im April 1983 wirkte Honecker sehr gelöst. Er erzählte mir, wie er nach dem Krieg bei der Rückkehr ins Elternhaus im Saarland seine Mutter beim Backen von Christstollen antraf. Da hatte ich den Eindruck, dass bei ihm irgendwo so etwas wie christliche Erinnerung vorhanden war. Aber von der Ehrung Luthers als Mann der Kirche war er nicht sehr begeistert. Er ließ das Jubiläum mit einer Träne im Knopfloch groß aufziehen, um seine internationale Reputation aufzuwerten.

Festakt zur Wiedereröffnung der restaurierten Wartburg am 21. April im Festsaal
Festakt zur Wiedereröffnung der restaurierten Wartburg am 21. April im Festsaal des Palas (Foto: epd-bild)

Und Margot Honecker?

Leich: Mit ihr bin ich nur ein Mal zusammengetroffen, bei einem Empfang des staatlichen Lutherkomitees. Sie war ja Ministerin für Volksbildung und damit zuständig für die Schulen im Land. Deshalb erneuerte ich ihr gegenüber die kirchliche Bitte zu einem Gespräch über die anhaltenden Probleme für Kinder aus christlichen Elternhäusern. Sie reagierte kurz und etwas schnippisch, man könnte sich ja mal unterhalten. Nach dieser Reaktion war mir klar, dass sie überhaupt kein Interesse daran hatte, mit uns ernsthaft zu reden.

Weshalb hat die DDR den 500. Geburtstag von Martin Luther damals so groß aufgezogen? Immerhin galt der Reformator bis dahin als Fürstenknecht und Feind der Bauern...

Leich: Dem SED-Staat ging es immer um ein positives Bild von der DDR in der Welt. Von historischen Ereignissen wie dem 500. Luther-Geburtstag versprachen sich die Genossen weltweite Beachtung. Dafür nahmen sie auch die Revision ihres bisherigen Geschichtsbildes in Kauf. Bei Luther durften jetzt selbst marxistische Wissenschaftler nach dem christlichen Selbstverständnis des Reformators und seiner Mitstreiter fragen...

 ... mit welchem Ergebnis?

Leich: Die Verunsicherung auf staatlicher Seite und besonders in den Schulen war groß. Plötzlich galt der Kirchenmann als einer der Repräsentanten für progressive Traditionen, auf die sich die SED so gerne berief. Das hat manchen Funktionär deutlich überfordert. Nicht nur der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Erfurt gab denn auch Ende 1983 die Parole aus, nunmehr habe es „ausgeluthert", jetzt werde wieder „Karl Marx in die Knochen geblasen".

Hat die SED mit dem Lutherjahr 1983 ihr Ziel erreicht?

Leich: Das Anliegen der weltweiten Anerkennung ist zum großen Teil misslungen. Bundespräsident Carl Carstens sagte seine Teilnahme ab, weil die DDR-Führung auf einer offiziellen Aufwartung des westdeutschen Staatsoberhauptes in Ost-Berlin beharrte. Darauf konnte sich der Westen nicht einlassen, weil es eine Anerkennung des SED-Staates bedeutet hätte. Der Absage von Carstens folgten alle skandinavischen Länder. Damit fehlten wichtige Teile des protestantischen Europas.

Altbischof Werner Leich
Altbischof Werner Leich (Foto: ekmd)

Was hat das Jubiläum den Kirchen gebracht?

Leich: Für uns war das Lutherjahr damals ein Geschenk. Wir haben es mit unserem unabhängigen kirchlichen Lutherkomitee langfristig vorbereitet, und die zahlreichen Veranstaltungen haben vielen Christen in der DDR Mut gemacht, ihr Christsein öffentlich zu bekennen. Ich denke da an die Aktivitäten in den Kirchgemeinden, aber nicht zuletzt auch an die großen Regionalkirchentage.

Auf diesen Regionaltreffen zwischen Rostock und Erfurt haben jeweils Zehntausende Menschen in aller Öffentlichkeit gezeigt, dass es neben der offiziellen staatlichen Propaganda noch etwas anderes gibt.

Zudem brachte das Lutherjahr für die Renovierung von Kirchengebäuden Baugenehmigungen und Baumaterial in einem bis dahin ungekannten Ausmaß. Bei alledem sind wir uns aber immer völlig im Klaren darüber gewesen, dass der Staat auf keinen Fall die Kirchen stärken will. Dass es der SED-Führung damit ernst war, hat sich schon bald gezeigt. In Gesprächen mit Kirchenleuten ließen die Staatsvertreter keinen Zweifel daran, dass sie nicht bereit waren, die Kirchen positiv zu sehen. Und wie sich die Schwierigkeiten bis zum Ende der DDR immer weiter verschärften, haben wir alle miterlebt.

Drei Jahrzehnte danach steht 2017 ein weiteres großes Reformationsjubiläum an. Wie nehmen Sie die bisherigen Vorbereitungen wahr?

Leich: Das ist naturgemäß völlig anders als 1983. Das damalige Gegenüber von Kirche und Staat gibt es nicht mehr. Es ist charakteristisch für die heutige Zeit, dass zur Reformation und zu Luther jeder seine Meinung sagen kann. in dieser Meinungsvielfalt sehe ich jedoch bisweilen die Gefahr, dass der Kern der Sache um der originellen Schlagzeile willen aus dem Blick gerät.