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Luthers Hammerschläge hallen bis heute nach Ein Gastbeitrag aus der Schweiz

Zürich ist mit Genf und Wittenberg eines der drei wichtigsten Zentren der europäischen Reformation des 16. Jahrhunderts. Diese war ein vielgestaltiger Prozess mit Licht- und Schattenseiten und hat nachhaltige globale Wirkungen gezeitigt. Die emanzipatorischen unter ihren Inhalten haben die Ideen von Individueller Menschenwürde und Demokratie ebenso wie Unternehmergeist, Wertekanon, Bildungswesen, Kultur und Mentalitäten nicht nur in Zürich, sondern in der gesamten westlichen Welt mitgeprägt. Zürich hat so, bis heute wirksam, ein Stück Freiheitsgeschichte geschrieben. Das gilt es ins Bewusstsein zu rufen, zu feiern, zu vertiefen.“ 

– Aus dem Grundlagenpapier des Vereins 500 Jahre Zürcher Reformation

„Martin Luthers Thesenanschlag“
Gemälde „Martin Luthers Thesenanschlag“ an der Schloßkirche zu Wittenberg am 31. Oktober 1517 (Gemälde, 1872, von Ferdinand Pauwels) (Bild: © epd-bild / akg-images)

Ob Luthers Hammerschläge, Rütlischwur oder Christi Geburt im Stall: Bewusstsein wird nicht durch historische Fakten geprägt, sondern durch vergegenwärtigte, inszenierte Bildgeschichten. So vermitteln, bei aller Bedeutung redlicher Geschichtsforschung, Jubiläen und deren Kleidergröße eher mehr über das aktuelle Bewusstsein der Feiernden als über das, was einmal passiert ist.

Von Anfang an demokratische Züge

Huldrych Zwinglis erste Zürcher Predigt am 1.1.1519 kann mit gutem Recht als Anfang der Reformation in der Schweiz gesehen werden. Die „reformierte“ Bewegung ging später über Genf in alle Welt. Die Gene reformierten Gedankengutes in der DNA westlicher Politik-, Wirtschafts- und Wertesysteme lassen sich einfacher nachweisen als die des fürstlich getragenen Luthertums; da der Schweizer Zweig der Reformation von Anfang an deutlicher demokratische Elemente in sich trug. Zudem gibt es heute mehr Reformierte als Lutheraner auf der Welt – von den vielgestaltigen Erben des ebenfalls maßgeblich in Zürich entstandenen Täufertums ganz zu schweigen. So steht das, was in Zürich seinen Anfang nahm, in seinen Wirkungen dem von Wittenberg ausgegangenen „lutherischen“ Strang der Reformation in nichts nach.

Das allein wäre also schon Grund für eine ganz grosse Schweizerische Feier, sollte man meinen. Doch zum „typisch Reformierten“ gehört seit je her Nüchternheit, Schlichtheit und Pragmatismus. Eine tief empfundene Aversion gegen Bilderverehrung, Pomp und herausragende Leitungsfiguren legt es dem Schweizerisch-reformierten Protestantismus und der von ihm über Jahrhunderte geprägten Mentalität der Eidgenossen schwer, ein aufwändiges Jubiläum zu gestalten. Da sich zudem jede zentrale Entscheidungsmacht hierzulande aufs nötige Minimum beschränkt und viel Gestaltungsraum an der Basis besteht, wäre eine einzige koordinierte und von allen getragene nationale Inszenierung des Jubiläums nicht durchzusetzen.

Jubiläum soll neue Dynamiken wecken

Denkmal für Huldrych Zwingli
Sockel des Denkmals des Schweizer Reformators Huldrych Zwingli (1484-1531) vor der Wasserkirche in Zürich (Bild: epd-bild)

Die Schweizer Bundespolitik deutet – bisher – das Reformationsjubiläum als konfessionelle Angelegenheit und somit als Sache der Kantone, denn Religion wird kantonal unterschiedlich geregelt. Doch selbst im bis vor wenigen Jahrzehnten noch durch und durch reformierten Zürich ist „Zwinglianismus“ für viele Synonym für puritanische Langeweile. Die reformierte Landeskirche erinnerte Stadt, Kanton und Zürich Tourismus daran, dass ein Reformationsjubiläum mehr zu erzählen hätte und nicht nur der Kirche gehört – mit Erfolg. Es wurde als gemeinsame Organisationsplattform der „Verein 500 Jahre Zürcher Reformation“ gegründet, und die Bemühungen, einem angemessenen Jubiläum die nötigen Ressourcen zuzuhalten, laufen auf allen Seiten. Im heute laizistischen Genf wäre solches undenkbar.

Zürichs reformierte Kirche war 4 ½ Jahrhunderte Staatskirche und wurde zum Zeitpunkt ihres höchsten Mitglieder- und Gebäudestandes autonom. Seitdem sinken die Zahlen; erst seit wenigen Jahren schlägt dies durch auf die Finanzen. Nicht unähnlich mit deutschen Kirchen schlucken Restrukturierungen und Spardebatten viel Energie. Im Übergang zur traditionsreichen Minderheit in der multireligiösen Gesellschaft kommen Mutlosigkeit und Rückzug ebenso auf wie frische Ideen und neue Programme.

Hier kommt das Jubiläum gerade recht. Es wird gewiss nicht einfach den Mythos Reformation im Selbstverständnis der Feiernden bespiegeln. Das Jubiläum soll vielmehr dieses Selbstverständnis verändern und Dynamiken wecken zur Umgestaltung und Erneuerung aus den Quellen. Bei weit geöffneten Kirchentüren darf miteinander neu gefragt werden, welche Art Glauben und Kirche der einzelne Mensch, die Gemeinschaft und Welt heute braucht, um in Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit Leben in Fülle zu finden.


Martin Breitenfeldt ist Geschäftsführer von „Verein 500 Jahre Zürcher Reformation“

Informationen

Autor:Martin Breitenfeldt Datum:02-02-16
Schlagworte:
Zürich, Genf, Wittenberg, Reformation

Notizen aus der Einen Welt

Das Reformationsjubiläum ist kein nationales, deutsches oder gar lokal begrenztes Ereignis. Die Reformation ist durch die Jahrhunderte zur „Weltbürgerin“ geworden. In vielen Regionen und Ländern auf allen Kontinenten haben sich reformatorische Gedanken ausgebreitet und reformatorische Ideen dargestellt.