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Preisträger des Essaywettbewerbs „Die Macht der Worte“ geehrt Moritz Sprandel von der Universität Heidelberg gewann mit einem Blick in die mögliche Zukunft der Sprache

Jury und Preisträger: Andreas H. Apelt, Tanja Kasischke, Lena Frewer, Moritz Sprandel, Lucia Weiß, Astrid Mühlmann, Nina George (Bild: Jens Jeske)

Zum Reformationsjubiläum haben die Staatliche Geschäftsstelle „Luther 2017“ und die Deutsche Gesellschaft e.V. einen Essaywettbewerb ausgeschrieben. Unter der Überschrift „Die Macht der Worte“ sollte Martin Luthers Einfluss auf die deutsche Sprache, deren Wandel in Zeiten der Informationsflut und ihr Einfluss auf unser Handeln untersucht werden. Der Wettbewerb lief von Anfang Mai bis Anfang November 2016.  

Jetzt hat die Jury die eingesandten Beiträge gesichtet und die Sieger des Wettbewerbs bestimmt. Dabei richtete sie sich nach Bewertungskriterien wie Originalität, Argumentation und Darstellungsform, um nur einige zu nennen. Bei der Preisverleihung am Donnerstag (15.12.) im Europasaal des Mosse Palais am Potsdamer Platz in Berlin – Sitz der Deutschen Gesellschaft – wurden drei sehr unterschiedliche, aber in gleichem Maße spannende Beiträge geehrt. Die Jurymitglieder zeigten sich bei Preisverleihung beeindruckt von der Qualität der Zuschriften und forderte die Teilnehmer auf, auch weiterhin zu schreiben und die geschriebene Sprache bunt, vielfältig und spannend zu erhalten. Die Preisträger erhielten ein Bücherpaket um die Reformation und Martin Luther und ein „Luther-Skatspiel“ mit Bildern der Reformatoren. Die besten zehn Beiträge werden in einem Essayband veröffentlicht.

Die Drittplatzierte, Lucia Weiß (Bild: Jens Jeske)

Lucia Weiß über Worte, die unsere Zeit prägen

Die Drittplatzierte, Lucia Weiß, erschafft in ihrem Essay „eine Miniatur-Fuge, im dreigetakteten Rhythmus von Rede, Gegenrede und Subtext“, wie es Laudatorin und Jurymitglied Nina George beschreibt. Dabei stellt Weiß vor dem Hintergrund der Debatte um steigende Zahlen von Geflüchteten seit dem Sommer 2015 Aussage gegen Aussage. Die dritte Stimme im Drei-Takt ist die der Autorin. Sie analysiert und zeigt dann Haltung. Für Laudatorin Nina George steht Weiß' Ansatz in Tradition des Orwellschen Sprachverständnisses. Wo Orwell feststellt, dass Sprache das Denken korrumpiert, gehe Weiß „einen Gedankenschritt weiter. Sie stellt das Wort vor die Tat, mehr noch: für sie erschaffen Wörter Welten.“ Weiß stellt sich die Frage, welche Worte unsere Zeit prägen.

Sie findet Worte, die mit Sorge aufgeladen sind, mit Schmerz oder mit Populismus. Die Macht der Worte könne sich entfalten, wenn sie den Beginn einer Geschichte bildeten. Sollen Worte wirken, braucht auch der Sprecher oder die Sprecherin einige Voraussetzungen. Wieder Weiß: ”Luther hatte seine Stellung und den Buchdruck, Frau Merkel hat die Kanzlerschaft und menschliche Stärke, Frauke Petra faschistisch-muffige Pointen und rhetorisches Geschick.“ Letztlich kommt Weiß zu dem Schluss „Worte machen Welt. Nicht allein, aber auch. Handelnde bleiben in jedem Fall wir.“ und erinnert so noch einmal den Leser an seine individuelle Verantwortung. 

Lena Frewer belegte den zweiten Platz (Bild: Jens Jeske)

Lena Frewer beschreibt die Geschichte des Luther-Lieds „Ein feste Burg“

Lena Frewer von der Justus-Liebig-Universität Gießen, blickt in ihrem zweitplatzierten Essay auf die Geschichte von Martin Luthers Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser Gott“. Sie begleitet das Lied von seiner Entstehung – schon hier ist das genaue Jahr unklar – durch den Dreißigjährigen Krieg und die Konflikte des 17. und 18. Jahrhunderts, die nostalgische Wahrnehmung in der Romantik, die Instrumentalisierung in Nationalismus und Nationalsozialismus bis hin zum APO-nahen Protestlied des Lyrikers Erich Fried in den 1970er Jahren. Zunächst in der Fastenzeit gesungen, begann mit den zunehmenden kriegerischen Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund der Kirchenspaltung die militärische Umdeutung gerade der ersten vier Verse: „Ein feste Burg ist unser Gott / Ein gute Wehr und Waffen“. Dies lasen die Menschen der Zeit eher  als „reformatorischen Schlachtgesang“, wie Frewer formuliert. Um 1800 änderte sich das – allerdings auch zu Lasten des Lieds. „Kirchenlieder sollten keine militärischen Deutungsmuster mehr zulassen; „Ein feste Burg” wurde infolgedessen manchmal umgedichtet und noch sehr viel öfter komplett aus den Gesangbüchern gestrichen.

Im 19. Jahrhundert erfreuen sich die Romantiker an dem holprigen Frühneuhochdeutsch und sehen das Lied als „nostalgischen Berührungspunkt mit der Zeit Luthers“. Verklärung prägt auch den nächsten Abschnitt der Liedgeschichte. Im Nationalismus nimmt man die oben zitierten Textzeilen wörtlich und druckt es, meist prominent in Militärgesangbüchern. So wird es dann zur Hintergrundmusik des Ersten Weltkriegs. In der Zwischenkriegszeit hieß es in der Arbeiterbewegung „Ein feste Burg ist unser Bund“, bevor die Nationalsozialisten das Lied für ihre Zwecke instrumentalisierten. Gerade die Zeile „Das Reich muss uns doch bleiben“ spielte ihnen dabei in die Hände. Frewer weist an dieser Stelle darauf hin, dass schon im 17. und 18. Jahrhundert diese Zeile in „das Reich Gott's muß uns bleiben“ geändert wurde. Brecht. verarbeitete Luthers Lied in seinen Hitlerchorälen, Angehörige der Bekennenden Kirche nutzten es ebenso wie Kommunisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgt erst in den 1970er Jahren wieder die Umdichtung als Träger politischer Botschaften. Mit Blick auf die Geschichte des Lieds hält Frewer fest, die Wirkungsgeschichte habe das Lied zerstört und: „Wo Instrumentalisierung beginnt, ist Populismus nicht weit.“ Für sie ist klar, dass nur „wer imstande ist, historisch-kritisch zu denken und demzufolge Aussagen zu prüfen … , kann die Macht der Worte beurteilen und in angemessener Weise einsetzen.“

Der Sieger-Essay stammt von Moritz Sprandel (Bild: Jens Jeske)

Moritz Sprandel über die Entwicklung der deutschen Sprache

In seinem Sieger-Essay gelingt Moritz Sprandel „die Verbindung von Renaissance und unserer heutigen Welt“, so Astrid Mühlmann, Geschäftsführerin der Staatlichen Geschäftsstelle „Luther 2017“ und Jurymitglied, in ihrer Laudatio. Sprandel wirft einen Blick auf die deutsche Sprache und Luthers Einfluss darauf, wagt aber auch einen Ausflug in die Zukunft der Sprache und der Kommunikation. Beginnend mit einer Szene in Wittenberg des Jahrs 1522, in der ein Junge seiner Mutter erklärt, lesen lernen zu wollen, beschreibt er die neuen Möglichkeiten durch den Buchdruck. „Worte stellten fest, ob sie zueinander passten, ob sie miteinander wirkten, logisch harmonierten und ob sie ihrer für die zu übermittelnde Botschaft genug oder zu wenig waren,“  heißt es da. Die Druckerei sei „der große begehbare Kleiderschrank, in dem man noch rasch die Bluse wechselt, wenn sie zur Hose nicht passt.“ Diese Voraussetzungen habe sich Luther zu eigen gemacht, führt Sprandel weiter aus. Von Luther aus und seiner Bewunderung für den Reformator schlägt Sprandel den Bogen zur Frage, ob Sprache heute noch so wirken kann wie damals. 

„Die Sprache ist tot. Es lebe die Sprache!“ heißt das dritte Kapitel des vierseitigen Aufsatzes. Alle dreihundert Jahre wandele sich das Deutsche signifikant. Wenn man das Frühneuhochdeutsche bis Ende 1650 datiert und sollte „sich das Neuhochdeutsche ebenfalls an den 300-Jahres-Schritt halten, ist es seit 1950 passé, over, gone.“ Sprandel kontrastiert das globalisierte, internationalisierte Deutsch der Kurznachrichten  und den Anspruch ständig immer und überall erreichbar zu sein mit der Schriftsprache. Schwer zu erschüttern sei diese, heißt es. „Doch was passiert, wenn keiner mehr liest, was in den Büchern steht?“ Sprandel sieht ein Nebeneinander von Sprachvarietäten, gleichberechtigt und konkurrierend. Interpretiere man Zeichen falsch, könnte man nur mit einem Abgesang auf die deutsche Sprache schließen. So ist denn in der zweiten Rahmenszene, ebenso in Wittenberg, aber in 500 Jahren, der Junge vor die schwierige Aufgabe gestellt, eine Bibelzeile zu interpretieren – während er sonst grammatik- und syntaxfrei per Smiley kommuniziert. Aber Sprandel nimmt die Kurve, zeigt sich überzeugt, es werde so weit nicht kommen und endet positiv. „Solange Menschen glauben, lieben, hoffen fühlen, riechen, hören und sehen und ihren sieben Sinnen sprachlichen Ausdruck verleihen, solange wird Sprache die Sprache der Bilder, die Sprache des Herzens bleiben, wird Luther-Sprache sein!“ heißt es da. 

Informationen

Autor:luther2017.de Quelle:luther2017.de, Deutsche Gesellschaft Datum:19-12-16
Schlagworte:
Reformationsjubiläum, Essaywettbewerb, Die Macht der Worte, Luther, Preisverleihung