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„Es geht um globale Verantwortung für die Welt“

Die Präsidentin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, Christina Aus der Au, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 27. März 2017. (Bild: epd-bild/Norbert Neetz)

Christina Aus der Au wird als Präsidentin des evangelischen Kirchentages am Himmelfahrtstag in Berlin mit Barack Obama reden und verspricht auch kritische Fragen an den früheren US-Präsidenten. Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sprach die 51 Jahre alte Schweizer Theologin über das Gedenken an die Opfer der Fluchtbewegungen, den Dialog zwischen Christen und Atheisten sowie über die Frage, warum der Kirchentag eine AfD-Politikerin zum Gespräch eingeladen hat. Der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag findet vom 24. bis 28. Mai in Berlin und Wittenberg statt.

epd: Frau Aus der Au, der evangelische Kirchentag hat sich in diesem Jahr Dialog als Grundhaltung auf die Fahnen geschrieben. Dialog setzt Positionen voraus: Wofür steht der Kirchentag?

Aus der Au: Der Kirchentag steht für das Engagement von Laien, von überzeugten Christinnen und Christen in einer großen Vielfalt von Ausprägungen, für ihre Verantwortung in Deutschland, in Europa, in der Welt.

Ein Höhepunkt des Kirchentags wird sicherlich der Auftritt des früheren US-Präsidenten Barack Obama vor dem Brandenburger Tor, gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ist das keine Unterstützung der CDU-Vorsitzenden so wenige Monate vor der Wahl?

Es geht nicht um parteipolitische Etikettierungen, sondern um unsere gemeinsame, globale Verantwortung für die Welt und wie wir ihr als Christinnen und Christen gerecht werden. Diese Debatte wollen wir mit meinungsbildenden Persönlichkeiten führen, und sie ist auch dringend notwendig. 2,2 Milliarden Christinnen und Christen leben auf der Welt, und als Kirchentag sind wir ein Teil davon. Wir engagieren uns, und wir wollen zum Besseren verändern. Das ist nicht Wahlkampf, sondern gründet in unserer christlichen Glaubensüberzeugung.

Sie selbst werden an dieser hochrangigen Veranstaltung gemeinsam mit dem EKD-Ratsvorsitzenden, Heinrich Bedford-Strohm, teilnehmen. Weiß der US-Präsident, dass der Kirchentag sich stets als eine Zeitansage versteht und viele Besucher sicher auch Antworten auf kritische Fragen erwarten – etwa zu seiner Rolle im Syrien-Konflikt oder zum Weiterbetrieb des Gefangenenlagers in Guantanamo?

Wir dürfen dem ehemaligen US-Präsidenten sicher zutrauen, dass er exzellent auf die Veranstaltung vorbereitet sein wird. Zudem werden Heinrich Bedford-Strohm und ich die Veranstaltung gemeinsam moderieren und also die wichtigen und auch kritische Fragen stellen.

Seit dem Kirchentag 2015 hat sich das Land verändert, nachdem mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Wie reagiert der Kirchentag darauf?

Wir haben einen Themenbereich Flucht, Migration, Integration. Aber wir beschäftigen uns nicht erst seit 2015 mit den Ursachen, die zur Flucht führen, mit dem Auseinanderklaffen von Arm und Reich, mit dem Klimawandel, mit Krieg und Frieden. Diese Themen haben wir jetzt vor dem neuen Horizont im Programm.

Vorgesehen ist eine Schweigeminute für die auf der Flucht umgekommenen Menschen. Was genau ist geplant?

Am Freitag des Kirchentags um zwölf Uhr machen wir eine Schweigeminute. Alle Programme, wo immer sie auch sind, in einer Diskussion oder in einem Film, werden dann ruhen. Wir wollen in dieser Minute nicht wohlfeile Lösungen anbieten oder Parolen vortragen, sondern einmal alles Reden unterbrechen. Und dieser Toten gedenken und trauern.

Der frühere US-Präsident Barack Obama wird zum Kirchentag nach Berlin kommen. Sein Auftritt ist nicht unumstritten. (Bild: epd-bild/Rolf Zöllner)

Zu den Veränderungen des vergangenen Jahres gehört das Erstarken der Populisten. Der Dialog mit der AfD ist umstritten. Warum wurde die Sprecherin der Christen in der AfD, Anette Schultner, eingeladen?

Wir schließen beim Kirchentag nicht generell Parteien aus. Sondern wir wollen schauen, wer zu dem Thema etwas zu sagen hat: Wie verhält sich das Christsein mit der AfD? Da ist Anette Schultner als Vorsitzende des Arbeitskreises Christen in der AfD die Gesprächspartnerin, mit der wir uns auseinandersetzen. Wir wollen nicht über, sondern mit den Menschen reden.

Was ist Ihre persönliche Meinung: Christsein in der AfD, geht das?

Menschenverachtenden Aussagen von Vertretern der AfD trete ich als Christin klar entgegen. Aber es ist ja auch so, dass mitten in unseren Gemeinden Christinnen und Christen rechtspopulistischen Überzeugungen zuneigen. Was treibt die Leute um? Angst um ihren Besitz, um ihren Job, um die bisherigen Zustände? Solche Ängste ernst zu nehmen ist aber etwas anderes, als die Angst zu instrumentalisieren und Hass und Ressentiments zu schüren, so wie es die AfD tut. Das ist mit christlichen Werten nicht vereinbar. Die Reformatoren haben es wiederentdeckt: Nicht Angst ist die Grundlage des Christseins, sondern der bedingungslose Zuspruch Gottes. Da ist Angst nicht nötig.

Der Kirchentag wird rund ein halbes Jahr nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt vor der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eröffnet. Macht Ihnen die Terrorgefahr Sorge?

Wir arbeiten intensiv mit den Sicherheitsbehörden und der Polizei zusammen. Wir werden Sicherheitsvorkehrungen zum Beispiel mit Gepäckkontrollen treffen, aber auf der anderen Seite wollen wir Kirchentag bleiben mit der Offenheit, Spontaneität und Fröhlichkeit, die uns auszeichnet. Wir nehmen das Thema sehr ernst und planen und agieren professionell. Aber wir müssen auch anerkennen, dass absolute Sicherheit gar nicht garantiert werden kann. Wir wollen eine offene Gesellschaft bleiben.

Das heißt aber: Sicherheitsmaßnahmen wie Gepäckkontrollen werden für die Kirchentagsbesucher spürbarer sein als noch 2015 in Stuttgart?

Ja. Und das wird auch bei den meisten Besucherinnen und Besuchern das Vertrauen erhöhen, dass wir wirklich darauf achten. Wir hören aber auch: „Lasst uns den Kirchentag dadurch nicht kaputt machen. Wir sind keine Hochsicherheitsveranstaltung.“

Der Festgottesdienst am 28. Mai in Wittenberg ist ein logistisches Wagnis, der Aufwand für Besucher, die mit der Bahn und wenig Gepäck anreisen sollen, enorm. Hand aufs Herz: Wie viele Gottesdienstbesucher sind realistisch?

Die Idee ist ja, dass sich dort die Leute vom Berliner Kirchentag treffen mit den Menschen von den Kirchentagen auf dem Weg in Erfurt, Weimar/Jena, Leipzig, Halle/Eisleben, Magdeburg und Dessau-Rosslau. Die Gemeinde kommt so aus ganz Deutschland am Samstagabend oder Sonntagmorgen in Wittenberg zusammen und feiert den Gottesdienst gemeinsam. Es ist der Schlussgottesdienst des Kirchentages, aber zugleich der Festgottesdienst des Reformationssommers im 500. Jubiläumsjahr. Die Menschen sagen: „Da will ich mitfeiern, mitsingen, mitbeten. Deswegen komme ich.“ Und wir hoffen auf viele, die sich einmal in 500 Jahren auch am Montag freinehmen.

Rund 2500 Veranstaltungen zählt der Kirchentag. Auf welchen Programmpunkt freut sich die Präsidentin besonders?

Ich persönlich freue mich auf die Veranstaltungen, in denen der Dialog am stärksten zum Ausdruck kommt. Wir haben uns gesagt: Lasst uns nicht nur über die Konfessionslosen reden, sondern sehen, ob es gemeinsame Fragestellungen gibt, die wir auf einem Podium besprechen wollen. So wollen wir mit Atheisten über die Grenzen der offenen Gesellschaft reden und über die Grenzen der Toleranz. Und wir wollen bei einer anderen Veranstaltung fragen: Was trägt eigentlich einen Atheisten am Ende des Lebens – und wie unterscheidet sich das von dem, was Christen glauben? Das wird eine spannende Sache.